PRESSEMITTEILUNG
2. Jahrestag des Kölner „Beschneidungs“-Urteils
Mehr als 25 Organisationen weltweit feiern „Welttag der genitalen Selbstbestimmung“
Köln, 7.5.2014 - Zum zweiten Jahrestag der Verkündung des Kölner „Beschneidungs“-Urteils forderten 24 Organisationen aus sieben Ländern und drei Kontinenten die Durchsetzung der Rechte aller Kinder weltweit auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung.
Am 7. Mai 2012 verkündete das Kölner Landgericht ein richtungsweisendes Urteil, das erstmals eine medizinisch nicht indizierte Vorhautamputation („Beschneidung“) eines Jungen nach geltendem Recht als strafbare Körperverletzung bewertete. Aus diesem Anlass riefen heute in Köln Ärzteverbände, Kinder-, Menschen- und Frauenrechtsorganisationen zum 2. „Worldwide Day of Genital Autonomy“ auf.
Die teilnehmenden Organisationen, darunter der Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V., der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, (I)NTACT e.V., pro familia NRW und intaktiv e.V., forderten:
Schutz aller Kinder weltweit vor jeglicher Verletzung ihrer körperlichen und sexuellen Integrität - unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion und Tradition;
Rücknahme der gesetzlichen Erlaubnis für nicht-therapeutische Vorhautamputation („Beschneidungen“) an Jungen (§ 1631d BGB) sowie eine Entschädigung der Betroffenen für die mit dem Gesetz verlorenen Rechte;
Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention Art. 24,3 (Abschaffung schädlicher Bräuche);
Erweiterung des Gesetzes zum Verbot von Genitalverstümmelungen (§ 226a StGB) um einen Auslandsstraftatbestand.
In den Redebeiträgen der Kundgebungen vor dem Kölner Landgericht sowie auf dem Roncalliplatz nahmen Vertreter der Organisationen aus dem In- und Ausland Stellung zu den Auswirkungen des Kölner Urteils:
Victor Schiering (Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V.): „Das Kölner Urteil gestand erstmals auch Jungen ein Recht auf heile und unverletzte Geschlechtsorgane zu.“ Schiering kritisierte die daraufhin vom Deutschen Bundestag per Gesetz beschlossene lebenslange Entrechtung von Jungen und Männern: „Dieses Gesetz zeichnet ein Männerbild, das auf Tabuisierung von Ängsten, Zwang und dem Ertragen von Verletzung und Schmerz basiert. Wir Betroffene fordern das Recht, jederzeit Ansprüche gegen diejenigen erwirken zu können, die diese nichttherapeutischen Eingriffe an uns veranlasst haben. Alle Kinder müssen endlich in ihrer körperlichen und sexuellen Integrität umfassend geschützt werden.“
Für den BVKJ (Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte) und die DAKJ (Deutsche Akademie für Kinder und Jugendmedizin) erläuterte Dr. Christoph Kupferschmid: „Die Vorhaut erfüllt wichtige Körperfunktionen, die nach der Beschneidung unwiederbringlich verloren sind. Hierüber sollten Eltern nicht ohne medizinische Gründe entscheiden dürfen. Auch in Deutschland werden jedes Jahr kleine Jungen durch Beschneidungen, die nicht notwendig sind, in Gefahr gebracht oder dauerhaft geschädigt.“
Der jüdische Historiker Dr. Jérôme Segal (Universität Wien und Paris-Sorbonne) zeigte sich erschüttert über die Reaktionen großer Teile der deutschen Politik und der Kirchen auf das Kölner Urteil: „Hier wurden im Namen einer angeblichen Toleranz und Weltoffenheit universelle Kinderrechte in Frage gestellt. Das notwendige Erinnern an die unbeschreiblichen, in deutschem Namen begangenen Verbrechen darf niemals auf Kosten der Rechte der Kinder von heute betrieben werden!“
Christa Müller (Vorsitzende von „(I)NTACT – Internationale Aktion gegen die Beschneidung von Mädchen und Frauen e.V.“) begrüßte die Signalwirkung des Kölner Urteils und warnte: „Der in Deutschland eingeführte eigene Straftatbestand zu weiblicher Genitalverstümmelung suggeriert eine trügerische Sicherheit! Solange vergleichbare Amputationsformen an männlichen Kindergenitalien gesetzlich erlaubt und gar ins Erziehungsrecht integriert bleiben, ist auch der Schutz von Mädchen anfechtbar und weltweit nicht zu realisieren. Kinderrechte gibt es nur universell geltend und nicht nach Geschlechtern getrennt.“
Renate Bernhard, Vorstand von pro familia NRW: „Genitale Beschneidungen haben irreparable Folgen für das sexuelle Empfinden und bei manchen Betroffenen auch traumatisierende Auswirkungen. Als Verein, der sich für die sexuellen und reproduktiven Rechte einsetzt, fordern wir eine gesetzlich vorgeschriebene Aufklärung über die Folgen der männlichen Beschneidung nach neuesten medizinischen Erkenntnissen. Die Entscheidung über eine Beschneidung sollte ausschließlich von der Person getroffen werden können, an der diese vorgenommen wird und erst dann, wenn sie hierzu entscheidungsfähig ist.“
In einer verlesenen Stellungnahme unterstrich Dr. John V. Geisheker, Executive Director & General Counsel des weltweit agierenden Ärzteverbandes „Doctors Opposing Circumcision“ (Seattle Washington, USA), auf welch starke Beachtung das Urteil des Kölner Landgerichts von 2012 auch international trifft: „Vielleicht wird noch zu unseren Lebzeiten der Tag kommen, an dem jedes männliche wie weibliche Kind über unverletzte, normale, gesunde und funktionale Genitalien verfügen darf. Der Jahrestag des Kölner Urteils trägt dazu bei, die Bewegung für Kinderrechte in den USA zu stärken, wo noch immer EINE MILLION Jungen jedes Jahr Opfer von Vorhautamputationen werden. Wir benötigen auch bei uns Ihre Hilfe!“
An der Demonstration und den Kundgebungen in Köln sowie an begleitenden Veranstaltungen im Ausland beteiligten sich: